Diskriminierung von Autist:Innen in der Schweiz
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Ein provokanter Titel – warum ich ihn gewählt habe

Zugegeben, das ist ein provokanter Titel. Wie komme ich auf diese Aussage? Ein Erlebnis in dieser Woche hat mir wieder einmal aufgezeigt, dass auch in der Schweiz Diskriminierung an der Tagesordnung steht, gerade, wenn man eine unsichtbare Behinderung hat. Erfahren Sie etwas über die tägliche Diskriminierung von Autist:Innen in der Schweiz.

Ein Seminar als Auslöser

Dabei geht es einfach nur um ein Seminar. Eine Veranstaltung, bei der normalerweise viele verschiedene Menschen zusammenkommen und dementsprechend offen sind – bzw. sein sollten.

Nach meiner Erläuterung, dass das Webinar der Handelskammer in meinem Wohnkanton nicht autisten-gerecht durchgeführt wird und ich deshalb nicht teilnehmen könne, erhielt ich folgende Antwort:

“Wir nehmen Ihre Nachricht zur Kenntnis und wünschen Ihnen alles Gute.”

Null Verständnis, keine Nachfrage weshalb, warum und überhaupt. Keinerlei Anstalten, sein eigenes Tun zu hinterfragen. Es interessiert leider niemanden. Und weil es niemanden interessiert, werden Menschen mit autistischen Zügen tagtäglich diskriminiert. Obwohl, etwas mehr Professionalität hätte ich von dieser staatlichen Institution schon erwartet. Doch man gewöhnt sich daran.

Der tägliche Kampf: Einkaufen im Supermarkt

Für Menschen wie mich wird ein Einkauf im Supermarkt zur Qual. So viele Menschen rennen rücksichtslos und lärmend durch die Gegend. So viele Menschen drängeln sich an mir vorbei. Sie fragen sich sicher, ja und? Wo ist das Problem?

Autist:Innen sind anders. Ich nehme laute Geräusche sehr viel intensiver wahr als Sie. Ein schreiendes Kind fährt mir so in die Glieder, dass ich Kopfschmerzen kriege und die Augen sogar tränen können. Gesprächen von mehreren Menschen kann ich nicht folgen, weil mir nie klar ist, wer gerade spricht, geschweige denn, wann ich etwas sagen kann. Oder darf. Konversation ist für mich ein Buch mit sieben Siegeln. Mir fehlen „Filter“ im Gehirn, welche Unnützes herausfiltern. Ein Stadion voller gröhlender Menschen? Ein Alptraum! Wenn mir dann noch fremde Menschen auf die Pelle rücken, ist Ende Gelände. Dann gibt es nur Flucht – weg, einfach weg! Ich mag ja nicht einmal Umarmungen von Bekannten oder Freunden. Es ist mir mehr als nur unangenehm.

Ein Sprichwort, das nicht passt

“Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.” Ein saublödes Sprichwort. Wenn Sie dies bei mir tun, quälen Sie mich.

“Behandle andere so, wie diese behandelt werden wollen.” So passt das besser.

Unsichtbare Behinderung: Das Problem der Wahrnehmung

Wo liegt genau das Problem? Man sieht mir mein Manko nicht an. Ich sitze nicht im Rollstuhl, habe keine Krücken, keine Schiene, kein fehlendes Körperteil, gehe nicht gebückt usw. usf. Ich werde als Sonderling, als ein bisschen dumm, der Langsame abgestempelt. Wortwörtlich wurde mir im Unterricht vor allen Mitschülern mitgeteilt, dass das mit dem Englisch bei mir nie etwas wird. An dieser Stelle viele Grüße an meine Lehrer:Innen: Ich spreche mittlerweile fließend Englisch in verschiedenen Dialekten so gut, dass mich in Texas eine Dame gefragt hat, ob ich aus Florida stamme. Ich bin nicht dumm, nur neurologisch etwas langsamer als andere. Keine der Lehrpersonen hat dies während der Schulzeit gepeilt. Wenn ich etwas begriffen habe, geht es ab wie Schmitz’ Katze und ich kann mir in kürzester Zeit unvorstellbare Mengen an Zahlen, Daten, Fakten merken. Ansonsten würde ich mich wohl kaum mit Astronomie und dgl. beschäftigen. Gehen Sie mit mir in ein Museum. In der Regel sieht die Museumskraft blass aus und mein Wissen ist sehr viel umfangreicher, als das der Aufsicht.

Der Widerspruch: Ein Vielflieger trotz allem

Wie passt das mit dem Vielflieger? Überhaupt nicht. Wenn jemand wie ich in ein enges Flugzeug steigt, immer und immer wieder, um seine Herzensdame zu sehen, muss die Liebe groß sein. Denn die Reisen über 870 Kilometer sind jedes Mal ein Spießrutenlauf. Diese Herzensdame ist übrigens der einzige Mensch, der mich anfassen darf und es mir sogar angenehm ist. Doch dies nur am Rande, dazu in einem anderen Beitrag mehr.

Ein Plädoyer für mehr Verständnis

Oft werde ich gefragt, ob ich die Menschen hasse, weil sie mich nicht verstehen. Nein. Im Gegenteil. Auch ich möchte auch gerne Dinge tun können, die sie tun können.

Ich finde es großartig, wenn Menschen für Minderheiten auf die Straße gehen und auf Missstände wie der Diskriminierung von Autist:Innen in der Schweiz aufmerksam machen. Ich wünsche mir, dies würde auch für uns geschehen. Wir selbst tun das nicht. Es ist zu laut. Zu viele Menschen. Von uns kommt eher etwas Leises, wie dieser Artikel hier.

Das tägliche Leiden in einer lauten Welt

So gehen wir jeden Tag aus unserer Wohnung, unserem Schutz, hinaus und leiden in der lärmenden, stinkenden Welt da draußen. Im Stillen. Niemand hört uns. Jeden Abend bin ich froh, wenn ich einen weiteren Tag in dieser Hölle da draußen irgendwie überlebt habe. Wenn ich nach Hause, in Sicherheit komme und abschließen kann. Und jeden Tag stirbt ein kleiner Teil in mir ab.

Ein Abschiedsgruß

Ihnen eine gute Zeit auf diesem „Wrong Planet“, wie er von Psychologen in den USA für Autist:Innen genannt wird.

Disclaimer:
Die Beiträge bilden nur meine Meinung ab. Sie haben Ihre eigene – großartig! Wir können alle Freunde sein.