Du betrachtest gerade Wer ist hier eigentlich derjenige mit einer Einschränkung?
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Frustration als Neurodivergenter erleben

Ich rege mich auf. Fürchterlich. Auf die Gefahr hin, dass ich mich unbeliebt mache, entsteht dieser Beitrag. Obwohl, was macht es für einen Unterschied, denn als Neurodivergenter ist man per se auf dem Abstellgleis der Gesellschaft angekommen. Schockiert? Das soll so sein. Denn genau so funktioniert die Welt da draußen. Erleben Sie meine Frustration als Neurodivergenter.

Missverständnisse und mangelhafte Kommunikation

Der Reihe nach: Ich habe einen Abklärungsbericht erhalten, welcher bei mir eine neurotypische Störung nachweist. Soweit so gut. Das Dokument umfasst ein paar Seiten, 16 an der Zahl. Etwas, was ein durchschnittlich begabter Mensch lesen kann. Besser gesagt: können sollte. Bei einer Institution, welche Menschen wie mich unterstützen soll, ist dies allerdings nicht der Fall. Nachdem ich den Bericht eingesandt hatte, erhielt ich ein Schreiben: «Auf Seite 9 steht XY. Wie war denn das genau?» Meine Antwort: «Das steht auf Seite 6 eben dieses Berichtes.» Jetzt einmal ernsthaft: Diese Institution ist nicht in der Lage, sich nach drei Seiten Lesen daran zu erinnern, was ein paar Zeilen vorher steht? Ich zweifle ernsthaft an der Qualifikation der betreffenden Person. Einen Text lesen und interpretieren können, das erwarte ich von einem Individuum in einer solchen Positionen schon.

Unnötige Coachings und uninformierte Fachkräfte

Doch es wird nicht besser. Ich hatte bereits über das Elend von Coaches berichtet, nachzulesen hier: https://rogerkern.blog/coaches-es-nervt/ und hier: https://rogerkern.blog/katastrophen-coaching-staatlich-gefoerdert/. Es geht allerdings noch blöder. Tatsächlich, ja! Von der gleichen Institution sollte ich ein Coaching erhalten. Auf meine Frage hin, ob es sich denn hierbei um ein Coaching für meine Partnerschaft (welches überflüssig wäre) oder für den privaten Bereich (Was auch überflüssig wäre) oder ob es sich um soziale Interaktionen handelt (was wiederum nötig wäre), konnte mir die Ansprechperson keine Information geben. Ja, man müsse einmal zusammenkommen. Großartig. Wir veranstalten ein Coaching und keiner weiß warum. Hauptsache, alle haben einen Kaffee getrunken, Kumbaya gesungen und sich an den Händen gehalten. Blöder geht es einfach nicht mehr. Per Definition kann ein F84.5 Autist nicht mit Situationen umgehen, die ihn/sie komplett im Ungewissen lassen. Hat sich diese Fachperson über die Eigenheiten des Klienten informiert? Natürlich nicht. Ansonsten wäre dies nicht passiert.

Fehlende Empathie und mangelnde Professionalität bei Versicherungen

Weiter geht es. Ich habe bei meiner Versicherung interveniert, dass bei einer Leistung etwas nicht stimmt und mir Informationen fehlen. Raten Sie einmal. Es hat sie nicht nur nicht interessiert, im Gegenteil. Der Zonk wurde an mich gegeben. Das sei halt so und sowieso und überhaupt. Ich hätte ja alle Unterlagen des Falles erhalten. Bitte? Wenn mir alle Informationen und Unterlagen vorlägen, hätte ich nicht nachgefragt. Mittlerweile ist es wohl zu viel verlangt, dass das Gegenüber wenigstens soweit denkt, dass die Ursache der Kontaktaufnahme im Hinterkopf präsent ist. Es ist mir einfach schleierhaft, wie Menschen so sein können. Lustig ist ja, dass diese Personen in der Regel nach sechs bis zwölf Monaten dann bei mir aufschlagen und monieren, dass etwas schief gelaufen ist. Dann wird in der Regel rumgeheult, warum ich mich nicht gemeldet hätte. Wenn ich dann meinerseits die Rückmeldung gebe, dass dies sehr wohl passiert sei, es sie aber nicht interessiert habe, dann sind die dann auch noch beleidigt. Neurotypisch normale Menschen benötigen sechs bis zwölf Monate, um die Sachlage zu erfassen, was mir innerhalb von ein paar Tagen gelingt. Aber ich bin derjenige, der eingeschränkt ist? Finden Sie den Fehler.

Diskriminierung und Vorurteile

Ich kann Ihnen sagen, was das Problem ist. Diese Personen haben gelesen, dass bei mir eine geistige Besonderheit besteht. Hieraus wird die Schlussfolgerung gezogen: Der ist doof. Den Teil, der über meine besonderen Fähigkeiten berichtet, wird überlesen. Diskriminierung in ihrer reinsten Form.

Die Suche nach Anerkennung und Verständnis

Ja, ich habe die Nase voll. Permanent werde ich in der Gesellschaft als behinderter Mensch abgestempelt, gemobbt und diskriminiert, weil ich Probleme mit sozialen Interaktionen habe (Smalltalk, zwischen den Zeilen lesen, etc.). Die oben aufgeführten Personen sind dem gegenüber nicht in der Lage, eine Sachlage zu erfassen, ihre Arbeit zu erledigen, geschweige denn, richtig zu lesen. Und ich bin derjenige mit einem Defizit? Weil es mir zu doof ist, über das aktuelle Wetter zu labern? Weil ich mich lieber über Wetterphänomene unterhalte als über den Regen heute Nachmittag? Oder weil ich eine Sachlage innerhalb von Minuten erfasse und der neurotypisch normale Mensch dafür Monate benötigt? Ernsthaft? Ich bin hier der Eingeschränkte? Wohl kaum. Die kognitiven Tiefflieger sind anderweitig zu finden.

Die Stärke der Neurodivergenz und das Scheitern der Anpassung

Meine kognitiven Fähigkeiten übertreffen den durchschnittlichen Homo Sapiens um ein Vielfaches. Ich stelle Überlegungen an, welche für die meisten Menschen nicht nachvollziehbar sind (beispielsweise Singularitäten, ein Steckenpferd). Auch kann ich Phänomene erklären, kann Ihnen über Geologie, Chemie, Physik, Astronomie, Evolution, Raumfahrt, Flugzeugtechnik, Geschichte, Tier- und Pflanzenwelt, Gezeiten, IT usw. usf. jede Menge erzählen. Ich weiß Dinge und kann Schlüsse ziehen, die Sie sich in der Regel nicht vorstellen können. Und nur weil ich beim Zusammentreffen mit einem anderen Homo Sapiens über die Krankheiten des Nachbarn und das aktuelle Wetter (welches man sieht, wenn man seinen Blick vom Smartphone gegen den Himmel richtet) schlicht nicht reden will, weil es mir zu banal ist, bin ich derjenige, der eingeschränkt ist? Denken Sie einmal darüber nach.

Resignation und die Akzeptanz des Andersseins

Ich habe Jahre lang versucht, mich anzupassen. Genauer gesagt, 40 Jahre lang. Ich wollte so sein, wie neurotypische Menschen, ich wollte dazugehören. Das ist vorbei. Mittlerweile bin ich froh, dass ich anders bin. Dass ich nicht zu dieser Gesellschaft gehöre. Lieber bin ich alleine, als dass ich mich an der Mobberei und Diskriminiererei beteilige.

Eine traurige Realität

In diesem Sinne, fehlen mir die Worte über das, was da draußen so passiert. Und es macht mich traurig.

Disclaimer:
Die Beiträge bilden nur meine Meinung ab. Sie haben Ihre eigene – großartig! Wir können alle Freunde sein.